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[Tirade] (soziale) Kälte in Bahnhöfen
(feddit.org)
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Ich gebe dem Kapitalismus die Schuld.
Warum werden Bänke abgebaut/ ungemütlicher? Weil Obdachlose und als „asozial“ empfundene Menschen auf ihnen liegen/sitzen und sich viele Menschen davon gestört/bedroht fühlen. Außerdem bieten sie die Möglichkeit, sich auszuruhen, was nicht erwünscht ist. Du sollst in den Bahnhof gehen, in deinen Zug einsteigen und dich verpissen.
Also treffen die Betreiber der Bahnhöfe die (ironischerweise asoziale) Entscheidung auf Bänke zu verzichten. Dadurch entsteht gerade im Winter eine Nachfrage nach Orten, an denen es warm ist. Indem man nun exklusive warme Orte aufbaut, nutzt man das menschliche Bedürfnis, nicht zu frieren, aus um Profit zu machen.
Warum empfinden viele Menschen andere Menschen, die z.B. auf Bänken liegen als „asozial“? Einerseits gibt es natürlich Situationen, in denen das liegen auf Bänken der Gemeinschaft schadet, wenn z.B. viele Menschen am Bahnhof stehen und eine Person unnötig 3 Sitze beansprucht, ist das unsozial.
Ein weiterer Faktor ist, dass generell alle Dinge, die nicht eine Form des Konsums, der Weg nach Hause oder zu einem Ort des Konsums sind, als asozial empfunden werden.
Mensch liegt auf dem Rücken auf einer Bank/dem Boden/…? Ist der Obdachlos? Wieso liegt der da? Wieso ist der faul und bringt keine Leistung?
Gruppe Menschen sitzt an einem öffentlichen Platz? Wieso faulenzen die? (bei Männergruppen) sind die Kriminell?
Denkt mal an euren Alltag. Gibt es Momente, an denen ihr außerhalb eures Zuhauses einfach nur existieren könnt?
Auf der Arbeit muss man Leistung bringen oder zumindest so tun, beim Einkaufen muss man den Einkauf möglichst schnell erledigen, um keine anderen Menschen zu stören (Stichwort Wettpacken mit dem Kassierer), auf dem Weg irgendwohin versucht man oft möglichst schnell zu sein und sich nicht unnötig aufhalten zu lassen, in Vereinen interagiert man mit anderen Menschen.
Es gibt quasi keine öffentlichen Orte, an denen man einfach existieren kann, ohne dabei komisch angeschaut zu werden.
Warum? Meine Theorie: Die Existenz von z.B. Gruppen von Jugendlichen, die einfach nur irgendwo sitzen, erinnert Menschen daran, dass sie selbst vielleicht irgendwann mal die Möglichkeit hatten, das Leben zu genießen, aber sich inzwischen nur noch von einer Aufgabe zur nächsten hangeln und diese kleinen Glückserlebnisse dabei auf der Strecke bleiben.
Statt sich nun ein paar Stunden zu nehmen, um sich einfach entspannt auf eine Parkbank zu legen, machen diese Menschen aber die Jugendlichen unterbewusst für ihre negativen Emotionen verantwortlich.
Warum nehmen sie sich nicht einfach die paar Stunden? Weil sie nicht in der Lage sind, zu entspannen. Wenn du jahrelang eine Aufgabe nach der anderen abarbeitest, fühlt es sich nach verlorener Zeit an, einfach mal nichts zu tun. Schließlich könntest du die Zeit nutzen, um dich weiterzubilden, Sprachen zu lernen, zu networken, …
Was hat das alles mit Kapitalismus zu tun? Mit der Neoliberalisierung der Gesellschaft ist das Kapitalistische Leistungsdenken in andere Bereiche der Gesellschaft geschwappt.
Third Places, also Orte an denen man Menschen trifft, die nicht das eigene Zuhause oder die Arbeit sind, wurden kommerzialisiert. Du willst in einer Bar sitzen und Leute treffen? Dann kauf dir ein Bier. Du willst im Club mit anderen Menschen feiern? Dann bezahl Eintritt. Du willst in einem Verein Menschen mit deinen Interessen treffen? Mitgliedsbeitrag, bitte.
Dadurch haben Menschen mit weniger Geld automatisch weniger Möglichkeiten, andere Menschen zu treffen und Kontakte zu knüpfen.
46% der 16 - 30-jährigen fühlen sich einsam, besonders Arbeitslose, Menschen mit niedrigem Schulabschluss, Menschen in mittelgroßen Städten (keine Dorfgemeinschaft, gleichzeitig keine große Auswahl an Vereinen, ...) und Menschen mit Migrationshintergrund (das Frauen überrepräsentiert sind würde ich darauf zurückführen, dass Frauen wahrscheinlich eher zugeben, dass sie sich einsam fühlen).
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/junge-menschen-und-gesellschaft/projektnachrichten/wie-einsam-sind-junge-erwachsene-im-jahr-2024
Die einzige Lösung dafür ist die Schaffung von kostenlosen Third Places, also Orten an denen Menschen sich treffen können, ohne dafür bezahlen zu müssen. Auch einige Bänke an einem Bahnhof können ein Third Place sein. Kein Unternehmen wird in den Ausbau dieser Art von Infrastruktur investieren, da es keinen Profit bringt. Diese Maßnahme müsste also vom Staat oder der Zivilgesellschaft ausgehen.
In Berlin gibt es solche Orte: die vielen Parks. Allerdings auch nur im Sommer....